Land unter? Nicht mit Johann Meinen. Der gelernte Elektriker überwacht und steuert das Siel – & Schöpfwerk Accumersiel. Er hat alles im Blick: Pegelstände, Klimadaten, Sturmgefahr und Starkregenfälle. Und weil die Wasserstandsregulierung heutzutage so gut wie automatisch läuft, erzählt er interessierten Urlaubgästen auch gerne in seinen Führungen von der Wichtigkeit des Deich- und Küstenschutzes.
Herr Meinen, wie sind Sie in Dornumersiel Schöpfwerkmeister geworden?
Johann Meinen: Ich habe Elektriker gelernt und bin nach der Bundeswehr zur Technikerschule gegangen. Danach habe ich 12 Jahre in Hamburg beim Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY gearbeitet. Habe dort eine Familie geründet und zwei Kinder bekommen. Aber es zog mich doch wieder nach Ostfriesland, ich bin gebürtiger Bensersieler. Als ich erfuhr, dass bei der Sielacht in Esens eine Stelle freiwurde, packte ich die Gelegenheit beim Schopfe. So fing ich im Schöpfwerk Neuharlingersiel an. In den folgenden Jahren automatisierte ich das Schöpfwerk in Neuharlingersiel. Als der frühere Obersielrichter Gerd Wessels mich fragte, ob ich das auch in Dornumersiel machen kann, habe ich natürlich zugesagt. Tja, so kam ich nach Dornumersiel, habe hier ebenfalls alles automatisiert und als Schöpfwerkmeister die Betreuung der Anlagen übernommen.
Was für eine Funktion haben denn die Siel- und Schöpfwerke überhaupt?
Johann Meinen: Schöpfwerke sind sehr wichtig für unsere Küste. Aber der Küstenschutz ist noch viel wichtiger. Den gibt es hier schon seit 2000 Jahren. Alle 12 Stunden haben wir Hochwasser. Das Land, das niedriger liegt, wird dann vom Seewasser überspült. Die ersten Siedler bauten ihre Häuser auf natürlichen Anhöhen, den sogenannten Warften. Dann bauten sie künstlich aufgeschüttete Warften und um das Jahr 1.000 wurden die ersten Deiche gebaut. Um 1300 war die Küste schließlich komplett von Deichen geschützt. Darüber hat Ude Hangen ein tolles Buch geschrieben: „Handgemachtes Land“. Das trifft nämlich zu, denn Menschen haben mit ihrer Hände Arbeit das Land urbar gemacht. Ohne Deich ist das Leben hinterm Deich nicht möglich!
Oder anders gesagt, ohne Deiche wäre das Land unter Wasser?
Johann Meinen: Ja, das kann man wohl sagen. Die Deiche halten das Nordseewasser fern. Aber wir haben dadurch auch ein anderes Problem geschaffen: Das Oberflächenwasser kann nicht mehr wegfließen! Deshalb hat man im Deich Durchlässe gebaut. Die waren damals natürlich technisch noch nicht so ausgefeilt wie heute.
Wie funktionierten diese Durchlässe?
Man hatte auch damals schon von vornherein auf der Seeseite ein Klappventil über den Deicheinlass gebaut, das bei auflaufendem Wasser automatisch schloss. So kam seeseitig kein Wasser herein, aber binnenseitig konnte das Regenwasser bei Ebbe ablaufen.
Hm, also dienen die Siel- und Schöpfwerke der Entwässerung des Binnenlandes.
Johann Meinen: Genau, wegen der Deiche müssen wir entwässern. Das ist sehr wichtig, ja existenziell für Ostfriesland. Alles Leben hier hängt von der Entwässerung und dem Küstenschutz ab.
Sie waren in Ihrem Berufsleben vornehmlich damit beschäftigt, die Schöpfwerke zu automatisieren? Was ist heute anders im Gegensatz zu früher?
Johann Meinen: Früher musste man rechtzeitig sehen, dass die Tore aufgehen, da sich die Tide immer ändert. Deshalb wurde damals auch an den Wochenenden gearbeitet. Das war nicht körperlich anstrengend, aber sehr zeitintensiv. Und nachts musste man auch raus. Heute kann ich die Schöpfwerke sogar per Fernwartung einstellen.
Das ist ja eine tolle Entlastung für Sie!
Johann Meinen: Ja, einerseits. Aber andererseits ist die Technik auch anfällig, da alles computerbasiert ist. Das kennt man ja. Es muss alle 2- 3 Jahre ersetzt und umgebaut werden, da es wieder eine neue Software gibt. Das ist alles aufwendiger geworden. Wir hängen immer hinterher.
Früher hat man Relais gebaut, die liefen so lange mit, bis sie eben kaputt gingen. Die hielten viel länger.
Und wenn der Strom mal ausfällt?
Johann Meinen: Keine Sorge (lacht). Ein bisschen alte Technik ist noch drin. Man braucht nur einen Schalter umlegen, und dann kann das Ganze auch wieder von Hand bedient werden. Das ist ganz wichtig. Außerdem haben wir ein großes Notstromaggregat.
Durch die Automatisierung haben wir die Möglichkeit zweimal am Tag zu entwässern. Das kann man sehr fein einstellen. Die Tore öffnen sich immer dann, wenn das Nordseewasser niedriger ist. Das geht ganz automatisch.
Und wenn das Nordseewasser mal so hoch ist, dass die Tore nicht geöffnet werden können? Zum Beispiel bei Sturm? Oder bei sehr starken, lang anhaltenden Regenfällen?
Johann Meinen: Dann müssen wir gegebenenfalls pumpen. Wir haben hier im Schöpfwerk drei Pumpen mit einer Förderleistung von insgesamt 20.000 Liter pro Sekunde. Aber grundsätzlich müssen wir jeden Tag entwässern. Das Land ist meistens nass, es sammelt sich immer Wasser. Das hat nichts mit Stürmen zu tun. Wenn ein Sturm kommt, ist das Nordseewasser höher, selbst bei eigentlichem Niedrigwasser. Das Wasser geht also auch bei Ebbe nicht zurück. Wir haben dann Dauerhochwasser. Dann kann kein Binnenwasser abfließen. Und wenn dann noch Regen dazukommt, dann müssen wir das Binnenlandwasser abpumpen. Wenn sehr viel Regen über einen langen Zeitraum fällt, haben wir das Problem, dass zu schnell zu viel Binnenwasser kommt. Durch die immer größere Versiegelung der Flächen in Ostfriesland, durch Hausbau, Gewerbeflächen und Straßen kriegen wir das Wasser zu schnell in die Siele. Das ist ein großes Problem.
Tja, Sturm und Regen sind immer Ausnahmezustände. 2012 hat es innerhalb von drei Tagen so stark geregnet wie sonst in einem Monat. Da mussten meine Kollegen du ich drei Tage pumpen. Das hatte ich bislang noch nie erlebt. Da musste ich rund um die Uhr arbeiten, um das Wasser loszuwerden.
Wirken sich die Klimaveränderungen auf Ihre Arbeit aus?
Johann Meinen: Ja, das merken wir ganz deutlich. Zum einen haben wir viel längere Trockenperioden. Aber vor allem der Starkregen macht uns enorm zu schaffen. Wir machen seit vielen Jahren kontinuierlich Regenmessungen. Wir haben 1000 – 1200 l Regen pro Quadratmeter im Jahr. Wir stellen fest, dass zwar im Jahresschnitt die Menge an Regenwasser nicht zugenommen hat, aber die Stärke der Regenfälle hat zugenommen. Dann kann die Sielanlage allein das nicht mehr schaffen. Dann müssen wir pumpen. Das tun wir dann möglichst, wenn das Außenwasser niedriger ist.
Außerdem ist die Nordsee in den letzten Jahrzehnten einige Zentimeter angestiegen. Die Sielzeit, also die Zeit, die uns bleibt, um das Land durch das natürliche Gefälle zu entwässern, wird immer kürzer. Deshalb müssen wir in immer mehr Pumpenleistung investieren. Überall an der Küste werden die Sielwerke aufgerüstet und den neuen Wasserständen angepasst. In Dornumersiel werden die drei bestehenden Pumpen aufgerüstet.
Das klingt nach teuer!
Johann Meinen: Ja, das ist extrem teuer. Der Umbau einer Pumpe kostet 600.000 €. Es fehlt auch an Geld; denn die Deich- und Sielverbände leben ja nur von den Mitgliedsbeiträgen. Alle Grundeigentümer zahlen jährlich einen Beitrag an die Deich- und Sielacht, die sich nach der Grundstücksgröße richtet. Der Betrag ist vom Land Niedersachsen festgelegt. Das ist Gesetz!
Wenn der Meeresspiegel angestiegen ist, müssen dann nicht auch die Deiche permanent erhöht werden?
Johann Meinen: Ja, das geschieht auch an der gesamten Küste. 1962, als die verheerende Sturmflut Hamburg unter Wasser gesetzt hat, waren unsere Deiche 2 m niedriger. Seitdem hat man sehr viel Geld in die Hand genommen, um die Deiche zu erhöhen. Man kann sagen, dass die Deiche heute aufgrund ihrer Höhe sicher sind. Und die Wasserstände von 1962 hatten wir in der Zwischenzeit schon zig mal wieder. Unsere Deiche und Häfen sind sicher! Aber klar, einen absoluten Schutz gibt es nicht.
Jens Klute says:
Hallo Johann,
ich musste in den letzten Tagen immer mal wieder an dich denken. Bin dann auf diese Seite hier gestoßen und sende dir auf diesem Weg die besten Grüße! In der Hoffnung, daß du die Situation trotz der aktuell ultra widrigen Umstände meistern kannst!
Liebe Grüße von deinem ehemaligen Desy-Kollegen,
Jens