Ostfriesische Klischees als Modekollektion

Der Pilsumer Leuchtturm, der Ostfriesennerz, die Teerose und das ostfriesische Fischerhemd sind nur ein paar Beispiele für typisch ostfriesische Ikonen. Genau diese Ikonen und Klischees, sowie persönliche Erinnerung an seine Heimat Ostfriesland haben Timo Martens in seiner neuen Kollektion „Hommage au Cliché“ als Inspiration gedient. Der 25 jährige Moormerländer hat mit dieser Kollektion im April sein Modedesign Bachelor Studium an der HTW Berlin abgeschlossen. Teetied hat sich mit ihm über seine Modeleidenschaft, sein Studium und seine Heimat Ostfriesland unterhalten.

Timo Martens

Wie lange gilt deine Leidenschaft nun schon der Mode?

Alles hat angefangen als ich 15 Jahre alt war, das weiß ich noch ganz genau. Damals habe ich angefangen T-Shirts zu bedrucken. Als mir das irgendwann zu langweilig wurde, brachte ich mir selbst das Nähen bei. Auch wenn es aus heutiger Sich nicht so professionell genäht war – damals war es einfach der Drang etwas Neues zu kreieren und selbst zu entwickeln.

Warst du dir damals denn auch schon sicher, dass du Modedesign studieren möchtest?

Ganz sicher mit dem Studium war ich mir erst nach meiner ersten Modenschau, die ich mit 17 Jahren in meiner Realschule in Moormerland organisierte. Danach war mir klar: das möchte ich irgendwann beruflich machen.

Du bist in Moormerland im Kreis Leer aufgewachsen: Was bedeutet dir deine Heimat Ostfriesland?

Zu meiner Heimat gehören natürlich in erster Linie meine Freunde und meine Familie, ganz klar. Ich habe bis zum Abitur in Leer gelebt und konnte es nicht abwarten, endlich von zu Hause wegzuziehen und zu studieren. Als ich dann endlich in Berlin war, wurde mir zum ersten Mal so richtig klar, was mir eigentlich an meiner Heimat liegt. Das Großstadtleben ist toll, gar keine Frage und doch ist nicht immer alles so, wie man es sich vorstellt. Besonders in stressigen Zeiten, freue ich mich darauf, ein paar Tage in Ostfriesland zu verbringen. Hier kann ich zur Ruhe kommen und die Zeit mit meinen Freunden und meiner Familie genießen. Meine Heimat bedeutet mir sehr viel und ich habe sie wirklich zu schätzen gelernt.

Ostfriesennerz, Fischerhemd, Tee und der Pilsumer Leuchtturm – all dies sind typisch ostfriesische Klischees, auf die du in deiner Kollektion anspielst. Wie bist du zu dieser Idee gekommen?

Das war eine Zufallsidee – und das sind ja bekanntlich die besten (Timo lacht). Solche Ideen kommen mir meistens, wenn ich Joggen gehe oder wenn ich durch einen tollen Mantel inspiriert werde, den ich im Alltag sehe. Wenn ich zur Uni fahre habe ich auch immer sehr viel Zeit nachzudenken.

Die Region Ostfriesland ist ja sehr stark mit Klischees belegt. Für viele Menschen sind die Ostfriesen bäuerlich und rückständig. Wenn ich erzähle, wo ich herkomme, wird das oft mit einem Ostfriesenwitz belächelt. Deshalb habe ich mich gefragt, weshalb alle Menschen so ein spezielles Bild von Ostfriesland haben und so kam ich auf meine Kollektion. Ich wollte meine Heimat einmal anders darstellen und den Menschen ein modernes Bild von Ostfriesland vermitteln. Es war mir wichtig zu zeigen, dass Ostfriesland modisch sehr elegant sein kann.

Lass uns genauer über deine Kollektion reden. Sehr interessant finden wir das Kleid im traditionellen Blaudruck-Stil. Wie kam es zu diesem Modell?

Zuerst einmal habe ich mich mit der Geschichte Ostfrieslands beschäftigt. Ich habe über die Traditionen und die Teekultur recherchiert und kam schließlich auf den Blaudruck. Im 17. Jahrhundert gab es neben dem Blaudruck kaum eine ähnlich ausgefeilte Färbetechnik und der Blaudruck war damals die einzige Möglichkeit, Stoffe zu veredeln. Auch das bekannte Fischerhemd wurde ganz früher gedruckt und nicht gewebt. In ganz Europa war das Blaudruckhandwerk bekannt. Heute gibt es nur noch ca. 7 Blaudrucker in ganz Deutschland und einer davon in Jever, im wunderschönen Ostfriesland. Das fand ich natürlich klasse. Heute kennen kaum noch Leute das Blaudruckhandwerk und mir ist es wichtig, so etwas am Leben zu erhalten. Also bin ich nach Jever gefahren, um mir die Stoffe, Drucke und Muster anzuschauen. Dann habe ich mir alles zusammengestellt und extra für die Kollektion mit meinen Materialien anfertigen lassen.

Foto vom Kleid im traditionellen Blaudruck-Stil

Kleid im traditionellen Blaudruck-Stil


Und was sagte der Blaudrucker zu deiner Idee?

Der war ein bisschen irritiert von meinen vielen Ideen. Die Jacke sollte bedruckt und anschließend noch bestickt werden. Ich glaube so etwas kommt nicht alle Tage vor. Er konnte sich das Endergebnis gar nicht vorstellen. Als ich ihm am Ende jedoch die Fotos schickte, war er total begeistert. Die Blaudruck-Jacke ist tatsächlich auch eines meiner Lieblingsoutfits. Einfach weil die Geschichte hinter dem Material so unglaublich spannend ist. Darüber hinaus wird in Jever noch mit echtem Indigo gefärbt. In anderen Blaudruckereien Deutschlands wird häufig auf synthetische Farben zurückgegriffen. Auch das war mir sehr wichtig: für meine Kollektion das Original zu bekommen.

Foto von Blaudruck-Jacke und Blaudruck-Kleid

Blaudruck-Jacke und Blaudruck-Kleid

 

Deinen Love-Pullover mit dem Wappen der Stadt Leer finden wir super. Wie kam es dazu, dass das Wappen dieser Stadt Präsenz in deiner Kollektion bekommt?

Ich bin in Leer geboren und habe dort viel Zeit meiner Jugend verbracht. Ich habe meinen Schulabschluss dort gemacht und einfach super viel erlebt. Viele meiner Freunde kommen aus Leer und mich verbindet etwas ganz Besonderes mit dieser Stadt. Meine Kollektion ist aufgeteilt in die typisch ostfriesischen Ikonen wie die Teerose oder der Blaudruck. Mit dem Love-Pullover wollte ich meiner Kollektion noch etwas Persönliches verleihen und meine Heimatliebe auf eine originelle Art und Weise zum Ausdruck bringen. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, das Leeraner Wappen zu verwenden und daraus das Wort Love (Liebe) Liebe zu gestalten.

Wir haben gehört, dass du bei dem Love-Pullover besondere Unterstützung erhalten hast. Kannst du uns da mehr veraten?

Genau! Meine Oma hat den Pullover gestrickt. Sie strickt schon seit 50 Jahren und ist perfekt in dem was sie tut – ich musste sie einfach involvieren. Nachdem ich das Design und den Schnitt entwickelt hatte, hat sie den Pullover nach meinem Entwurf gestrickt. Dann habe ich noch die Buchstaben aufgenäht und die Schleife am Rücken angebracht. Mir war es wichtig, dass alles in meiner Kollektion handgefertigt ist. Deshalb hat meine Oma den Pullover für mich umgesetzt, da ich selbst nicht stricken kann. Meine Oma hat mir schon öfter geholfen. Für frühere Kollektionen hat sie Kleider für mich gehäkelt. Bei Techniken die ich nicht so gut beherrsche hilft sie mir immer.

Love-Pullover mit Leeraner-Stadtwappen


Uns fallen die vielen aufwändigen Stickereien auf. Ganz besonders springt uns dabei dein Mantel ins Auge. Das Modell ist sicher eines der zeitaufwändigsten deiner Kollektion, oder?

Ich habe genau aufgeschrieben, wie lange ich an jedem Modell gearbeitet habe. Mit fast 500 Arbeitsstunden war der Mantel sehr zeitaufwendig. Was man auf den Bildern nicht erkennen kann: der Mantel besteht aus 52 Schnittteilen, also Einzelteilen. Wenn man die Einzelteile zusammennähen möchte, muss man beim Sticken immer einen Teil freilassen. Denn wenn man mit der Nähmaschine über die Perlen näht, dann gehen sie kaputt. Die Blaudruckjacke liegt zeitlich auf Platz 2. Hier wurden 2600 Perlen aufgenäht und das hat sehr lange gedauert.

Wie hast du das gemacht? Per Hand?

Genau, alles per Hand. Stickerei ist ein reines Handwerk. Das kann man tatsächlich fast nur mit der Hand machen. Es gibt heute auch Techniken das maschinell zu machen, aber weil ich in der Haute Couture arbeiten möchte, muss es per Hand sein.

Foto vom Pilsumer Leuchtturm-Mantel

Pilsumer Leuchtturm-Mantel


Bist du mit deiner Benotung und deinem Ergebnis zufrieden?

Ja, das war perfekt. Traumnoten! Aber darum ging es mir tatsächlich nie. Ich bin nicht der Typ, der für gute Noten designt. Ich habe mich im vierten Semester selbst intensiv mit der Stickerei befasst und mich neben der Uni darauf spezialisiert, da es an meiner Hochschule gar nicht wirklich unterrichtet wurde. Ich habe sehr viele verschiedene Sticktechniken und -arten gelernt und mir alles selbst angeeignet. In meiner Bachelorarbeit habe ich den Fokus dann auf die Stickerei gelegt. Das hat super schön mit dem Thema Ostfriesland harmoniert.

Und wie geht es nach dem erfolgreichen Abschluss deines Studiums jetzt weiter?

Zwei Tage nach meinem Kolloquium habe ich direkt mit dem Master angefangen. Im September gehe ich aber erst einmal für sechs Monate nach Paris. Dort werde ich wieder für Givenchy im Bereich Stickerei für Haute Couture und Prêt-à-porter arbeiten. Mein Traum ist es irgendwann voll und ganz in Paris zu leben und zu arbeiten, Berlin war nur eine Zwischenstation für mich. Aber Ostfriesland wird immer meine Heimat bleiben!

Für weitere Informationen über Timo Martens und seine Kollektionen:

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  1. Monika Danz says:

    die Bekleidung mit den Blauduckstoffen finde ich super. eine sehr gute umsetzung der wunderschönen Stoffe.
    An den Mantel Pilsumer Leuchtturm muss man sich erst gewöhnen, hatte ich in jungen Jahren sicher toll gefunden.
    Der Pulli mit dem Wappen von Leer gefällt mir auch wieder sehr gut. wie könnte man andere Küstenorte dafür verwenden.

  2. Kerstin Reichelt says:

    Timo Martens! Den Namen sollte man sich merken. Sein Platz in der Modewelt ist ihm sicher. Viel Erfolg in Paris!

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