Seit 2009 ist der ehemalige Landwirt Reinhard Behrends aus Osterhusen Obersielrichter. Er ist verheiratet und hat drei Kinder, wobei der älteste Sohn den landwirtschaftlichen Betrieb inzwischen übernommen hat. Seine Tochter ist bei der Forschungsstelle „Küste“ beschäftigt sein jüngster Sohn studierte Elektrotechnik.
Wie wird man Obersielrichter, ist dies zeitlich begrenzt und üben Sie dieses Amt hauptberuflich aus?
Grundsätzlich kann satzungsgemäß jeder, der Mitglied im Gebiet des Entwässerungsverbandes ist, auch Obersielrichter werden. Das ca. 49.000 ha große Verbandsgebiet ist in 7 Wahlbezirke unterteilt. In diesen Wahlbezirken werden turnusmäßig alle 7 Jahre drei Gremiumsmitglieder gewählt, die den Vorstand und den Ausschuss bilden. Die 7 Vorstandsmitglieder sind gleichzeitig Sielrichter in den jeweiligen Bezirken, die 14 Ausschussmitglieder bilden das oberste Organ der Verbandsversammlung, die dann auch den Obersielrichter mit einer Amtszeit von 10 Jahren wählen. Dabei handelt es sich um ein Ehrenamt mit einer Aufwandsentschädigung. Ausüben kann man das Amt bis zur satzungsmäßigen Altersgrenze bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres.
Früher war das anders…
Der jüngste Sielrichter war Tamme Uden Tammena, der mit 29 Jahren noch zu Zeiten des sog. Emder Pegelverbandes in dieses Amt gewählt wurde. Ganze 71 Jahre blieb er Sielrichter. Als er 100 Jahre alt war, hat er sein Amt abgegeben an seinen Nachfolger – der war zwar 20 Jahre jünger, aber auch schon 80 Jahre alt! Heute ist mit 65 Jahren Schluss!
Wie finanziert sich die Entwässerung mit allen Gebäuden, Pumpen und Mitarbeitern?
Früher musste jeder Küstenbewohner selbst Hand anlegen sowohl im Küsten- als auch im Binnenhochwasserschutz und mit seiner Arbeitskraft dazu beitragen, dass das Land nicht überflutet wird. Konnte er diese Leistung nicht mehr erbringen, musste er das Land wieder zur Verfügung stellen und steckte den Spaten in sein Land: „Well ne will dieken, de mut wieken“ (wer nicht deichen will muss weichen). Der Oberdeichrichter – heute ehemaliger Bürgermeister von Emden Herr Alwin Brinkmann – entschied damals, wer das Land übernehmen durfte. Heute zahlt jeder Grundstückseigentümer und Landbesitzer seine Beiträge an die Deichachten und die Entwässerungs-verbände!
Aus den Mitgliedsbeiträgen stehen uns heute 3 Mio. Euro im ordentlichen Handel zur Verfügung. Mit diesen Mitteln werden alle laufenden Kosten, Lohnkosten – der Verband beschäftigt immerhin 14 Mitarbeiter in der Verwaltung, in der gewerblichen Arbeit und Schöpfwerksbetreuung – Energiekosten, Unterhaltungskosten für die Gewässerunterhaltung und alle baulichen Anlagen bestritten. Stehen größere Investitionen an, besteht die Möglichkeit mit Hilfe von Fördermitteln des Landes Niedersachsen, bzw. EU-Fördermitteln, diese zu finanzieren.
Was gibt es aktuell für Neuerungen, auf die Sie sehr stolz sind?
Sehr stolz bin ich auf die verbandseigene Windenergieanlage, die 2017 an der Knock beim Schöpfwerk aufgestellt wurde und somit die erste WEA in Niedersachsen ist, die ein Schöpfwerk betreibt, eine E70 mit 2 ½ MW. Bei Vollauslastung kann die WEA sogar alle Pumpen des Schöpfwerks an der Knock versorgen. Nur die Restenergie wird ins Netz eingespeist, bzw. – sollte die Windenergie nicht ausreichen – kommt aus dem Netz. 10 Jahre haben wir dafür gekämpft und Umweltminister Olaf Lies ist seinerzeit eigens für die Einweihung gekommen!
Außerdem haben wir an der Knock das Internetnetz ausgebaut. Nun sind wir in der Lage, die meisten Schöpfwerke von der Knock aus zu bedienen. Das größte Schöpfwerk von uns hier an der Knock lässt sich jedoch nur manuell von den beiden Mitarbeitern vor Ort bedienen, da wir immer im Hinterkopf haben, dass sich „Hacker“ in unser Netz einloggen und das wäre eine riesige Katastrophe.
Sie kennen viele geheime Ecken im Landkreis Aurich! Wo sind Ihrer Meinung nach die Schönsten und welche Probleme gibt es dort?
Grundsätzlich ist unser gesamtes Verbandsgebiet eine überaus landschaftlich reizvolle Region, angefangen am Deich bis hin zu den ostfriesischen Binnenseen. Eine besonders schöne Ecke befindet sich sicherlich im Bereich unserer vielen Unterschöpfwerksgebiete und zwar am sogenannten tiefsten Punkt im Freepsumer Meer. Vor ca. 250 Jahren von Menschenhand trockengelegt ist dieses Gebiet in seinem heutigen Zustand eine äußerst reizvolle Ecke mit einer enormen Artenvielfalt.
Und wenn ich gerade über sogenannte Unterschöpfwerksgebiete gesprochen habe, sind das Flächen, die allesamt unter Normal-Null l(NN) liegen. Immer ein Drittel unseres gesamten Verbandsgebietes – ca. 17.000 ha – wären täglich zweimal überfluten, wenn es die Deiche nicht geben würde. Darüber machen sich heute die Wenigsten noch Gedanken!
Wo gibt es aktuell Probleme?
Aufgrund der besonderen Situation im Hinblick auf die Folgen der Coronapandemie hat sich auch das Urlaubsverhalten in der Region geändert und unsere Kanäle werden vermehr durch den Bootstourismus, aber auch gerade jetzt in der äußerst warmen Jahreszeit durch Badende und Schwimmer genutzt. Das ist ja auch grundsätzlich sehr schön, nur durch die aktuelle Zunahme der Bootjekoopers – und da gilt wohl „je mehr PS desto besser“ – kommt es auf einigen Teilstücken der Kanäle dazu, dass viel zu schnell gefahren wird.
Das führt einerseits zu massiven Uferabbrüchen an den Gewässern, was wiederum die Entwässerung erschwert und die Unterhaltung verteuert, es führt aber auch zu äußerst gefährlichen Situationen auf den Gewässern zwischen den Bootjefahrern, Badenden, Stand-Up-Paddlern, Kanuten usw. und das obwohl auf den Gewässern eine Geschwindigkeitsobergrenze von 5 km/h gilt. Ich spreche hier auch nicht von den allen Bootjefahrern! Der Großteil fährt rücksichtsvoll und hält sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung, aber ich sprechen diejenigen an, die sich mit den hochmotorisierten Booten auf unseren Gewässern bewegen, sich rücksichtsvoll und auch im Sinne Aller geschwindigkeitsangepasst zu bewegen!
Ihr lustigstes Erlebnis in Ihrer bisherigen Amtszeit?
Tatsächlich gibt es ein Erlebnis, das mir immer in Erinnerung bleiben wird: Zum 25. Jubiläum des Nationalpark-Hauses in Greetsiel kam auch die Staatssekretärin Frau Almut Kottwitz aus Hannover. Ich schlug vor, sie nach der Veranstaltung noch auf ein leckeres Eis am Hafen einzuladen und sie sagte sofort begeistert zu. Die Redner haben bei dieser Veranstaltung jedoch alles gegeben und somit schritt die Zeit unaufhaltsam voran, so dass Frau Kottwitz direkt die Heimreise nach Hannover antrat. Daher wurde leider nichts aus unserem Eis am Greetsieler Hafen!
Nur wenige Wochen später war Frau Kottwitz erneut bei uns an der Knock.
Als das formelle Procedere soweit erledigt war, lud ich alle Anwesenden und Frau Kottwitz erneut zu einem Eis ein mit den Worten: „Wenn wir es nicht zum Eis schaffen, kommt das Eis eben zu uns!“ In unserer Halle stand dann wirklich – zur großen Freude aller – ein Eiswagen bereit. Noch Jahre später sprach man von dem Eiswagen in den Räumlichkeiten an der Knock.
Welche Planungen gibt es für die Zukunft?
Mit den wahrscheinlich fortschreitenden Klimaveränderungen wird der Meeresspiegel weiter ansteigen und nach den bisherigen Erkenntnissen der Wissenschaft werden wir in ca.
50 Jahren nicht mehr sielen können, d.h. wenn wir die Sieltore öffnen, um das Regenwasser in die Nordsee ablaufen zu lassen und somit das Binnenland entwässern. Weitere Schöpfwerke werden dann unumgänglich.
Große Klimaanpassungsmaßnahmen werden zusammen mit dem Land Niedersachsen geplant. Dafür gilt es Fördergelder für bestimmte Projekte zu beantragen und neue Ideen der Entwässerung zu erarbeiten. Man könnte bspw. den Schlamm der ausgebaggerten Ems auf bestimmte Flächen liefern, die unter NN liegen und somit das Land anheben. So könnte der Schlick, der beim Vermischen von Süß- und Salzwasser entsteht, genutzt werden. Sogenannte Pumpspeicherbecken, die sowohl für die Regenrückhaltung als auch für die Wasserspeicherung in längeren Trockenperioden genutzt werden können, sind auch Teil der Planungen.
Schlusswort:
Die Herausforderungen sowohl im Küstenschutz, als auch im Binnenhochwasserschutz, werden im Zusammenhang mit dem Klimawandel in der Zukunft immer anspruchsvoller. Wir müssen uns diesen Herausforderungen stellen, dürfen dabei allerdings niemals den Respekt vor der Natur, bzw. den damit verbundenen Naturgewalten verlieren, denn auch weiterhin sitzt diese immer am längeren Hebel!
Wir bedanken uns ganz herzlich für das Interview und die Zeit, die Sie uns dafür eingeräumt haben!